Die WHO hat Burnout 2019 als berufsbedingte Erkrankung eingestuft. Im gleichen Jahr hat YouGov im Auftrag von LinkedIn Berufstätige aus allen Branchen befragt. 82% der Befragten gaben an, die Folgen von Stress am Arbeitsplatz zu spüren, 40% klagten über Schlafstörungen. Seit der Corona-Krise sind Berufstätige vielen weiteren Stressfaktoren ausgesetzt.
Warum sind wir so gestresst von der Arbeit?
„Einer der häufigsten Auslöser für Stress ist ein ungesundes psychosoziales Arbeitsumfeld", sagt Psychologe Dag Härdfeldt. Damit sind die zwischenmenschlichen und sozialen Interaktionen gemeint, die unser Verhalten und unsere Entwicklung im Job beeinflussen.
„In vielen Arbeitssituationen treffen wir auf diffuse Erwartungen, wechselnde Anforderungen, eine unklare Work-Life-Balance und mangelnden Respekt vor der Freizeit", fügt Härdfeldt hinzu. Auch unsichere Zukunftsperspektiven und die Sorge um den Arbeitsplatz können Stress und Überforderung verstärken.
Wie kann ich Stress am Arbeitsplatz vermeiden?
Psychologe Härdfeldt hat Tipps, wie du mit den 5 größten Stressfaktoren umgehen kannst.
Stressfaktor Nr. 1: Ungesunde Work-Life-Balance
Tipp: Klare Grenzen setzen Neben den altbekannten Tipps (E-Mails seltener checken, Unterbrechungen durch Anrufe einschränken) empfiehlt Härdfeldt, bei der Arbeit im Homeoffice Änderungen vorzunehmen, um die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit klarer zu ziehen.
„Jede Situation und jeder Arbeitsplatz ist anders. In jedem Fall sollten Beschäftige im Homeoffice versuchen, ihren Arbeitsplatz vom Freizeitbereich zu trennen", sagt Härdfeldt. Das bedeutet, dass du deinen Laptop möglichst nicht im Bett benutzen solltest.
„Unser Gehirn ist darauf konditioniert, auf unsere physische Umgebung und die darin stattfindenden Aktivitäten zu reagieren", so Härdfeldt. Nach Feierabend solltest du deine Arbeitssachen am besten beiseite räumen oder in einer Kiste verstauen, um richtig abschalten zu können.
Stressfaktor Nr. 2: Unrealistisches Zeitmanagement
Tipp: Kleine Ziele definieren Einer der Hauptauslöser für Stress ist ein schlechtes Zeitmanagement. Härdfeldt erklärt, dass dies oft auf die Ungewissheit darüber zurückzuführen ist, wie lange verschiedene Arbeitsschritte bis zur Abgabefrist dauern könnten.
„Die Lösung ist es, größere Aufgaben in Hauptziele und Unterziele zu unterteilen", empfiehlt Härdfeldt. Das Hauptziel ist das Endergebnis - zum Beispiel eine Präsentation. Die Unterziele sind die kleinen Ziele, die du erreichen musst, um dorthin zu gelangen.
Der Hauptunterschied zwischen einem Hauptziel und einem Teilziel besteht darin, dass es schwieriger ist, festzustellen, wann man sein Hauptziel erreicht hat. Es kann sich zudem so anfühlen, als wäre man nie richtig fertig. „Man kann zum Beispiel eine Präsentation immer weiter verbessern oder üben", erklärt Härdfeldt. Teilaufgaben kann man so anlegen, dass sie in vollständig und nicht vollständig eingestuft werden können.
Die Idee dahinter ist, die Anzahl der Entscheidungen, die das Gehirn verarbeiten muss, zu reduzieren. Indem man die gesamte Aufgabe in überschaubare Schritte aufteilt, ist es für das körpereigene Stresssystem viel einfacher, sie zu bewältigen.
Stressfaktor Nr. 3: Wechselnde oder hohe Anforderungen
Tipp: Lernen, Nein zu sagen (auch wenn es schwerfällt) Manchmal ist es notwendig, zu bestimmten Dingen Nein zu sagen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dies besonders Menschen schwer fällt, bei denen das Persönlichkeitsmerkmal „Verträglichkeit” sehr hoch ausgeprägt ist.
„Verträglichkeit steht in Zusammenhang mit einem stärkeren Sinn für Empathie, Freundlichkeit und Mitgefühl", erklärt Härdfeldt. Verträglichere Menschen neigen dazu, Ja zu sagen, um die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts zu verringern.
Der erste Schritt, das Neinsagen zu lernen besteht darin, die Emotionen auszuhalten, die dabei aufkommen. Dann muss man lernen, diese Gefühle zu akzeptieren, um seine Toleranz zu erhöhen.
„Wer das Neinsagen lernen möchte, sollte es öfter einfach tun. Man ist nicht jedem Menschen eine Erklärung schuldig", so Härdfeldt. Wenn du zum Beispiel mit deinem Manager sprichst, möchtest du dein „Nein” vielleicht mehr erklären, aber sag es direkt und klar: „Im Moment arbeite ich an X, also kann ich Y jetzt nicht machen. Ich kann es am Donnerstag nachholen.”
Stressfaktor Nr. 4: Weniger soziale Interaktionen
Tipp: Den Austausch mit anderen nicht vergessen Die Arbeit im Homeoffice sich auf die Art und Weise ausgewirkt, wie wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen kommunizieren. Anstelle von spontanen Gesprächen an der Kaffeemaschine und gemeinsamen Mittagspausen arbeiten wir heute eher funktional, selbstständig und planen gezielte Videokonferenzen. Zum Teil setzen wir diese Arbeitsgewohnheiten fort, wenn wir wieder ins Büro gehen.
„Eines der wichtigsten Dinge, die ich tun kann, ist zu versuchen, die Arbeitssituation meiner Kolleginnen und Kollegen zu verstehen", rät Härdfeldt. „Es muss keine große Geste sein. Etwas so Banales wie die Frage, wie die Woche einer Kollegin war, drückt Unterstützung aus”.
Nimm dir eine Minute Zeit, um dich mit einem Kollegen auszutauschen, anstatt gleich nach dem Einschalten deines Laptops deine E-Mails abzuarbeiten. Du wirst feststellen, dass das für euch beide ein Entspannungsfaktor ist.
Stressfaktor Nr. 5: Unvorhersehbarkeit des Arbeitsumfelds
Tipp: Bitte deine Führungskraft um Unterstützung „Es liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, dafür zu sorgen, dass sich das Arbeitsumfeld nicht nachteilig auf die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden auswirkt", so Härdfeldt. Denk daran, dass deine Führungskraft für dich da ist. Vereinbare regelmäßige Gespräche mit ihr oder ihm und nutze die Zeit auch, um mögliche Probleme und Sorgen anzusprechen.
Wenn du selbst Personalverantwortung hast, solltest du dich für die spezifische Arbeitssituation deiner Mitarbeiter:innen interessieren. Frag nach, ob sie alles haben, was sie brauchen, um ihren Job gut zu machen.
Sollte ich wegen arbeitsbedingtem Stress zum Arzt gehen?
„Mein Rat ist, mit einer Ärztin oder einem Arzt über das Stressniveau zu sprechen, bevor sich ein Burnout daraus entwickelt. Je früher Betroffene vorbeugende Maßnahmen ergreifen, desto besser ist die Prognose", erklärt Härdfeldt.
Wenn du dich bei der Arbeit langfristig gestresst oder überfordert fühlst, ist es vielleicht an der Zeit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wenn du das Gefühl hast, dass dein Stress immer schlimmer wird, versuche nicht, ihn zu verdrängen. Manchmal ist eine krankheitsbedingte Auszeit die beste Lösung, auch wenn das vielleicht schwer zu akzeptieren ist. Ein schweres Burnout könnte deine Arbeitsfähigkeit auf lange Sicht beeinträchtigen.